29.03.2019
Ohne eine rasche Weiterentwicklung der E-Mobilität drohen Oberösterreich und Bayern ein Schicksal wie dem deutschen Ruhrpott beim Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie vor rund 40 Jahren: Diese drastische Warnung wurde bei einem grenzüberschreitenden Vernetzungstreffen zwischen Bayern und Oberösterreich laut. Aus Sicht der Experten aus Politik und Wirtschaft braucht Europa bei Elektromobilität eine neue Strategie, um gegenüber China nicht hoffnungslos ins Hintertreffen zu geraten. Die Diskussion zeigte deutlich, welche regionalen Unterschiede es derzeit gibt. Während Norwegen bei Hybrid- und Elektrofahrzeugen mit rund 75 Prozent eine Vorreiterrolle einnimmt, beträgt deren Anteil auf Österreichs Straßen nur rund 2,5 Prozent.
In der Raiffeisenlandesbank OÖ diskutierten Hubert Aiwanger, Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sowie Stellvertretender Ministerpräsident, der oberösterreichische Wirtschaftslandesrat
Markus Achleitner, Andreas Klugescheid von BMW München und Michael-Viktor Fischer, CEO des Elektromobilitätsanbieters SMATRICS, über die neuesten Entwicklungen sowie Chancen und Möglichkeiten, die E-Mobility für die deutsche und österreichische Wirtschaft bringen. Raiffeisenlandesbank OÖ-Generaldirektor Heinrich Schaller hatte zu dieser Veranstaltung in seiner Funktion als Vorsitzender der Deutschen Handelskammer in Oberösterreich geladen.
Für den Bayerischen Staatsminister Hubert Aiwanger ist das Thema Elektromobilität durch die breite Diskussion um Dieselfahrverbote und CO2-Grenzen mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dabei werde aber natürlich auch differenziert. „Wenn der Strom von der Sonne kommt, ist der ökologische Fußabdruck korrekt. Wenn aber Strom aus Kohlekraftwerken die Basis ist, dann ist die ökologische Fußspur nicht die richtige“, betonte Hubert Aiwanger. Wie auch immer diese Diskussion weitergeführt werde, sicher sei, dass man jetzt neue Wege seitens der Autoindustrie und beim politischen Umgang mit diesem Thema beschreiten muss – denn: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich hier bereits ein Markt entwickelt hat. Und diesen müssen wir auch bedienen.“
Eine besondere Rolle spiele hier nicht zuletzt auch China. „China spielt hier seine Marktmacht aus und setzt massiv auf das Thema E-Mobilität. Hier brauchen wir auch eine europäische Strategie, um dem entgegenzuhalten. Wer sich hier massiv verkalkuliert oder auf das falsche Pferd setzt, wird diesen Rückstand nicht mehr aufholen.“ Das wäre gerade für die Region Bayern „tödlich“. Aiwanger verglich die Situation mit der im Ruhrgebiet in den 1960er und 1970er Jahren: „Als die Zeit der Kohle- und Stahlindustrie vorbei war, brachen die Region ein. Genauso drastisch sehe ich das bei der Autoindustrie in Bayern und Oberösterreich.“ Aiwanger appellierte daher: „Es kann ein gemeinsamer Auftrag an Politik und Wirtschaft sein, alle Register zu ziehen, keine Fehler zu machen und den Anschluss dort wiederherzustellen, wo wir ihn vielleicht in der jüngsten Vergangenheit verloren haben.“
Ein entscheidender Faktor für den Bayerischen Wirtschaftsminister ist auch das Thema Infrastruktur: „Da dürfen wir nicht zu kompliziert werden und argumentieren, dass es ja gar niemals genügend Ladestationen geben kann und es daher auch niemals viele E-Autos geben wird. Wer E-Mobilität kauft, der wird auch eine Steckdose dazu finden.“ Aiwanger kann sich auch vorstellen, dass diese Thematik die Bürger zu einem gewissen Teil selbst lösen: „Die Menschen werden Mittel und Wege finden – etwa über private und häusliche Ladestationen bzw. eigene Photovoltaik-Anlagen. Aber natürlich hat der Staat beim Ausbau von Ladestationen seine Aufgaben zu erfüllen.“
Für Raiffeisenlandesbank OÖ-Generaldirektor Heinrich Schaller wird die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Österreich nicht ausschließlich vom Thema Elektromobilität abhängen: „E-Mobilität ist ein wesentliches Zukunftsthema. Man darf es aber nicht isoliert betrachten, sondern muss es in den Gesamtkontext der Digitalisierung und Vernetzung setzen.“ Daraus würden sich interessante Geschäftsmodelle für heimische Unternehmen entwickeln. „Vor allem auch aus dem Aspekt des intensiven grenzüberschreitenden Wirtschaftslebens zwischen Bayern und Oberösterreich.“ Entscheidend werde auch hier die Frage sein, ob genügend qualifizierte Arbeitskräfte vorhanden sind. „Wir dürfen uns bei diesen global zu betrachtenden Themen nicht nur auf wirtschaftliche oder unternehmerische Aspekte konzentrieren. Wir müssen zukunftsfähige Ausbildungsmöglichkeiten – vor allem im universitären Bereich – schaffen“, ist Schaller überzeugt.
„Es gibt viele Parallelen zwischen Bayern und Oberösterreich. Beide sind die Wirtschaftslokomotiven ihrer Länder und natürlich über die Grenzen eng miteinander vernetzt“, sagte der oberösterreichische Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner. Umso wichtiger wären gemeinsame Strategien für zentrale Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Energieversorgung oder E-Mobilität. „Es stellt sich nicht die Frage, ob wir diesen Wandel wollen. Diese Entwicklungen gehen ihren Weg“, so Achleitner. Die oberösterreichische Wirtschaft ist mit ihren zahlreichen Zulieferunternehmen stark mit der Automobilindustrie verknüpft. „Deshalb wollen wir den Wandel aktiv mitgestalten. Gerade Klein- und Mittelbetriebe sind hier extrem gefordert“, so der Wirtschaftslandesrat.
Auf Oberösterreichs Straßen ist der Anteil an E-Autos aktuell mit 2,5 Prozent noch relativ gering. Die enormen Investitionen und der Forschungsaufwand großer Automobil-Unternehmen im Bereich Batterietechnologie deuten aber darauf hin, dass Elektromobilität in Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Das bestätigte auch Andreas Klugescheid, Leiter des Bereichs Steuerung, Politik und Außenbeziehungen, Kommunikation und Nachhaltigkeit bei BMW: „Wir haben weltweit bereits 300.000 Autos mit Stecker verkauft und sind in Europa auch Marktführer in diesem Bereich. In Norwegen sind bereits 75 Prozent unserer verkauften Autos Plug-In-Hybrid-Modelle oder auch vollelektrische Fahrzeuge.“ Auf lange Sicht werde aber der Verbrennungsmotor nicht abgelöst. Klugescheid rechnet mit einem breiten Mix an verschiedenen Antriebsarten, die alle einen Markt vorfinden werden. „Das Thema Klimaschutz wird aber immer wichtiger. Die Werte, Interessen und Erwartungshaltungen der Kunden wandeln sich. Dazu kommen die Verpflichtungen des Pariser Klimaschutzabkommens, die einen klaren Weg vorzeichnen“, so Klugescheid.
Die Diskussionsrunde in der Raiffeisenlandesbank OÖ widmete sich auch dem in der Öffentlichkeit aktuell intensiv diskutierten ökologischen Fußabdruck der Elektromobilität. „Man muss natürlich hinterfragen, woher die Materialien kommen und wie es mit dem Energieaufwand bei der Produktion von Batterien aussieht. Durch den Druck der Auto-Industrie gibt es aber enorme Entwicklungsschritte. Außerdem können 95 Prozent der Lithium-Ionen Batterien bereits recycelt und nach dem Auto auch anderweitig als Stromspeicher verwendet werden“, sagt Michael-Viktor Fischer, SMATRICS-Geschäftsführer. Das oberösterreichische Unternehmen beschäftigt sich mit dem Aufbau und Betrieb von öffentlichen E-Ladestationen und dem Aufbau von Ladeinfrastruktur für Dritte.