23.04.2020
Nicht nur in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist es wichtig, innovativ zu bleiben und sich so einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Zahlreiche Unternehmen der Automobilbranche haben die Chancen erkannt und arbeiten mit Start-ups zusammen. Der international geprägte Markt lässt auch den Blick über den europäischen Tellerrand zu. Wie sieht also die Start-up-Situation in Asien aus? Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit bieten sich speziell in Indien? Im Auftrag der Initiative „Roadmap to Asia“ der oö. Standortagentur Business Upper Austria ist ein aus vier Experten bestehendes Projektteam der Linz Johannes Kepler Universität diesen Fragen nachgegangen. Die Ergebnisse wurden Ende April in einem virtuellen Meeting präsentiert.
Steigende Wirtschaftsleistung, kontinuierliche Entwicklung und attraktive Investitionsmöglichkeiten: Asiatische Länder sind für die Automobilbranche nach wie vor ein Zukunftsmarkt. Das wurde durch „Roadmap to Asia“ bereits mehrfach verdeutlicht. Die Initiative des Automobil-Clusters, die oberösterreichischen Unternehmen der Automobilbranche den Eintritt in den asiatischen Markt erleichtern möchte, stellte mit der Johannes Kepler Universität nun das Start-up-Ökosystem Indiens in den Fokus.
Boomende Start-up-Szene
Derzeit gibt es in Indien mehr als 20.000 aktive Start-ups mit einem stetigen Wachstum von ungefähr 15 % in den vergangenen Jahren. Damit ist das indische Start-up-Ökosystem nach den USA und China das drittgrößte der Welt. Nicht nur die Anzahl der Start-ups wächst, sondern auch die erhaltenen Mittel. Im Jahr 2019 gab es 27 indische Start-ups, die einen Finanzierungswert von über 1 Milliarde US-Dollar erreichten und somit zu Einhörnern bzw. Unicorns wurden. Die bevorzugte Art der Finanzierung hängt von der Phase ab, in der sich ein Start-up befindet. Insgesamt zeigt das Finanzierungsmuster einen Trend zu risikoarmen Investitionen in Start-ups in späteren Phasen und nicht in neu gegründeten. Die wichtigsten Sektoren sind Fintech, Healthtech und Enterprise. Branchen wie Automobil und Mobilität gehören jedoch zu den am schnellsten wachsenden Branchen. Die wichtigsten Start-up-Hubs in Indien sind Delhi, Bangalore und Mumbai, an denen fast 60 % aller Frontrunner beteiligt sind. (Aufgrund von Regierungsinitiativen auf Bundes- und Länderebene entstehen jedoch immer mehr geografische Drehkreuze. Die wichtigsten Maßnahmen des Bundes sind Organisationen wie Startup India, Invest India und das Indian Investment Grid. Teil des Unterstützungssystems sind auch Inkubatoren und Beschleuniger sowie Unternehmen. Darüber hinaus kann die jüngere Generation mit deren spezifischen Talenten als einer der Faktoren betrachtet werden, die Indien zu einem attraktiven Standort für Start-ups machen.)
Indien als starke Wirtschaftsnation
Ab 2020 wird Indien voraussichtlich einen Anteil von 18 % an der Weltbevölkerung halten. Dabei sticht hervor, dass Indien im Vergleich zum Rest der Welt eine sehr junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren vorweist. Dies verschafft dem Land einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Ländern wie China, die mit einer alternden Bevölkerung zu kämpfen haben. Mit einem nominalen BIP von 2,9 Billionen US-Dollar liegt Indien an fünfter Stelle der Welt. Besonders Delhi und die südwestlichen Staaten Indiens tragen den größten Teil dazu bei. Indien hat eine negative Zahlungsbilanz und importiert somit mehr als es exportiert. Der größte Teil der ausländischen Direktinvestitionen stammt aus Mauritius, Singapur und Japan. Derzeit ist Indiens Automobilindustrie die viertgrößte weltweit. Es wird jedoch erwartet, dass es 2026 zum drittgrößten aufsteigt. 2018 war Indien außerdem der siebtgrößte Hersteller von gewerblichen Automobilen weltweit. Zwischen 2013 und 2019 stieg das jährliche Wachstum der lokalen Automobile auf rund 6,7 %. Im Geschäftsjahr 2019 wurden 26 Millionen Fahrzeuge verkauft. Den Hauptanteil machten Zweiradautos aus und auch das Dreiradsegment ist seit zwei Jahren auf dem Vormarsch. Die Automobilindustrie macht insgesamt 2,3 % des BIP der indischen Wirtschaft aus.
Projektpartner sind begeistert
Besonderes Interesse an einer gründlichen Analyse der indischen Start-up-Szene zeigte der Projektpartner AVL List Corporation. Das weltweit führende Unternehmen für Automobiltechnologie hat das Programm Creators Expedition eingeführt, das Start-ups in den Bereichen Elektromobilität, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz und Sensoren fördert. Der Internationalisierungsstrategie von Creators Expedition folgend, werden aktuell die ersten Schritte in Indien gesetzt. Sebastian Jagsch, Global Head bei Creators Expedition der AVL, lobte das Team und nahm viel aus der Analyse mit: „Als AVL sind wir bereits seit 1983 erfolgreich in Indien tätig. Ein tiefer Einblick in die lokale Start-up-Szene fehlte uns aber. Umso spannender ist es für uns aus dem Studienprojekt nicht nur grundlegende Fakten erhalten zu haben, sondern weitreichende Hintergrundinformationen, die auch in einen internationalen Kontext gesetzt wurden. Wir freuen uns nun vorbereitet in das indische Start-up-Ecosystem einzusteigen.“ Offene Fragen konnten nach der Präsentation beantwortet werden. Auch Frederic Hadjari, Key Account Manager – International Relations im Automobil-Cluster, freute sich über die professionelle Zusammenarbeit und die Disziplin der Student/innen in der aktuell außergewöhnlichen Situation. Ein Folgeprojekt ist bereits in der Vorbereitung.
Zum Projekt
Im Rahmen des MGB-Programms an der Johannes Kepler Universität Linz analysierte ein Projektteam die Situation in Indien. Auftraggeber war der Automobil-Cluster der oö. Standortagentur Business Upper Austria. Neben einem detaillierten Einblick in die gesamtwirtschaftliche und demografische Situation Indiens lieferten sie eine umfangreiche Analyse der Entwicklungsprozesse indischer Start-ups. Für die Forschung wurden in erster Linie Sekundärquellen genutzt. Das Besondere an der Untersuchung: Startfinanzierung, Sektoren, Hubs und staatliche Initiativen auf Bundes- und Länderebene wurden aus der Perspektive junger Akademiker/-innen betrachtet. Selbst COVID-19 hielt die vier Student/-innen nicht davon ab, die Forschung voranzutreiben und innerhalb von acht Wochen greifbare Ergebnisse zu liefern.