21.12.2020
Der gebürtige Steyrer Günther Lachner, Eigentümer der GLE-consulting im französischen Toulouse, ist Experte für Zusammenarbeit zwischen Österreich und Frankreich in der Automobilindustrie. Im Interview spricht er über die Spezifika des französischen Marktes und Chancen (ober-)österreichischer Zulieferer.
Sie waren lange in der Automobilbranche tätig und haben sich nun mit Ihrem Unternehmen GLE-consulting selbstständig gemacht. Was ist Ihre Kernkompetenz?
Als Motorenentwickler, Projektleiter und Vertriebsdirektor bei OEMs und in der Zulieferindustrie konnte ich internationale Zusammenarbeit nicht als ein notwendiges Übel, sondern vielmehr als eine großartige Chance erleben. Als aktives Mitglied der Interessensvereinigung TOTEM (Transports d'Occitanie Terrestres Et Maritimes) interessiere ich mich für das gesamte Ökosystem der Mobilität. TOTEM vereinigt die Akteure von Straßen-, Bahn- und Schiffsverkehr Südwestfrankreichs und hat ähnliche Ziele wie der oö. Automobil-Cluster. Meine Expertise als Unternehmensberater umfasst interkulturelle Zusammenarbeit, Geschäftsentwicklung mit technischer Kompetenz und Netzwerk, internationale Vertriebstätigkeit mit Fokus auf Wertschaffung für den Kunden sowie Coaching von interkulturell agierenden Führungskräften und -teams.
Was war die Motivation, diesen Schritt in die Selbstständigkeit in Frankreich zu gehen?
Wir Europäer müssen unsere gebündelten Kompetenzen dazu nutzen, führend an der weltweiten Transformation von der fossilen zur erneuerbaren Energiegesellschaft mitzuwirken. Damit kann Europa als Beispiel vorangehen und auf dem Weltmarkt wirtschaftlich sehr erfolgreich sein. Auch die Mobilitätsindustrie ist hier gefordert, das Ihre beizutragen. Der europäische Wirtschaftsmotor der Zusammenarbeit Frankreichs mit dem deutschsprachigen Raum hat eine große Aufgabe vor sich. Um mich bestmöglich einzubringen, habe ich beschlossen, an diesem Prozess als Unternehmensberater für Internationale Zusammenarbeit aktiv mitzuwirken. Mein Motto ist: „Cultures make business grow.“
Wer zählt hauptsächlich zu Ihren Kunden und wovon profitieren diese, wenn sie sich von Ihnen beraten lassen?
Meine Kunden sind Automobilzulieferer und OEMs in Frankreich, Schweden (ich habe drei Jahre in Göteborg gearbeitet), Deutschland und Österreich, die über die Sprach- und Kulturgrenzen hinweg zusammenarbeiten oder neue Geschäfte anbahnen wollen. Durch meine Beratung nutzen sie meine Marktkenntnis und mein Netzwerk, um Kundenbedürfnisse genau zu eruieren, die richtigen Ansprechpartner zu finden und eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung aufzubauen.
Das ist in unserer speziellen Zeit noch wichtiger geworden als je zuvor. Digitale Kommunikationsmittel bieten sehr viel mehr, als noch vor der COVID-19-Krise für möglich gehalten wurde. Jedoch machen es Reise- und Kontaktbeschränkungen sehr viel schwieriger, mit noch unbekannten Geschäftspartnern eine Beziehung aufzubauen. Hier kann GLE-consulting seinen Auftraggebern durch bestehende persönliche Beziehungen zu Entscheidungsträgern ihrer potenziellen Kunden helfen, Erstkontakte herzustellen und den Kundenbedarf zu verstehen. Auch Projektabwicklung und Krisenmanagement gelingt durch Einbindung von GLE-consulting besser und führt schneller zum gewünschten Ziel. Dadurch können sie Probleme frühzeitig zu lösen und so schlimmere Konsequenzen vermeiden.
GLE-consulting verbessert auch die Kompetenz von Vertriebsteams und Kundenschnittstellen. Dies geschieht durch Schulungen in internationaler Zusammenarbeit und Wertschaffung für den Kunden. Des Weiteren bietet GLE-consulting auch Interim Management, um seinen Kunden zu helfen, eine effiziente Vertriebsstruktur aufbauen.
Was sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten OEMs und Tier-1 in Frankreich?
Bei den OEMs haben wir mit Renault und seiner Allianz mit Nissan und Mitsubishi sowie PSA mit seiner erfolgreichen Integration von Opel und der nun beginnenden Zusammenarbeit mit FCA (Fiat Chrysler) zwei Musterbeispiele dafür, wie es in der stark wettbewerbsgetriebenen Automobilindustrie gelingen kann, international erfolgreich zu sein. Die großen französischen Tier-1 sind Valéo, Faurecia, PlasticOmnium sowie Michelin. Diese sind sehr stark international vernetzt. Als jüngstes Beispiel möchte ich die Zusammenarbeit für Brennstoffzellenentwicklung zwischen PlasticOmnium und ElringKlinger mit dem Standort in Wels nennen. Darüber hinaus gibt es in Frankreich einige große Kompetenzzentren internationaler Firmen wie Bosch, Continental, Vitesco Technologies, Delphi/BorgWarner.
Worauf setzen die Franzosen ihren Fokus bei F&E?
Hier möchte ich zwei Aspekte besonders hervorheben: Der französische Ingenieur genießt eine sehr theoriebasierte Ausbildung. Das bringt es mit sich, dass sich die französische F&E bei hochkomplexen Simulationsrechenmodellen einen sehr guten Ruf erworben hat. Das ist komplementär mit dem eher praxisorientierten Ansatz der deutschsprachigen Ingenieure. Des Weiteren lebt die französische Automobilindustrie das Prinzip des „Hightech for Best Value". Die F&E bedenkt bei Innovationen den Kostenaspekt von Anfang an mit. Auch wenn diese Beobachtungen nicht als Schwarz-Weiß-Behauptungen verstanden werden wollen, sind diese Trends stark ausgeprägt.
Und wie geht es diesen Unternehmen angesichts der Krise?
Die französische Automobilindustrie leidet ähnlich wie die der anderen Länder an der wirtschaftlichen Unsicherheit und der technologischen Verunsicherung der Endkunden, die Fahrzeugkäufe stark zurückgehen ließ. Der französische Staat hat schon im Mai einen historischen, mit acht Milliarden Euro dotierten Sanierungsplan für die Automobilindustrie in die Wege geleitet, der den Umstieg auf klimaneutrale Antriebe fördert. Auch europäische Zusammenarbeitsprojekte werden von der französischen Politik und Wirtschaft sehr aktiv beworben. Es gibt massive Bestrebungen, die Wertschöpfungskette für elektrifizierte Antriebe langfristig europäischer zu machen. Auch wenn die Krise nicht überwunden ist, gibt es also durchaus positive Anreize, die Zukunft jetzt vorzubereiten. Daran arbeiten diese Firmen intensiv.
Wie, glauben Sie, wird sich die Automobilbranche in Frankreich in den kommenden Jahren entwickeln?
Die Französischen OEMs werden weiterhin international sehr aktiv sein. Während sie bis vor Kurzem noch die kurzfristig rechnerisch billigsten Fertigungsstandorte bevorzugt haben und Zulieferer dazu gedrängt wurden, in Billiglohnländern zu produzieren, setzt sich ein neues Verständnis für die Notwendigkeit lokaler Fertigungsstätten – „local for local" – durch. Europäische Zulieferer, die für den europäischen Markt in Europa fertigen, werden wieder mehr bevorzugt. Mobilität als Gesamtsystem (CO2-Reduktion, connected vehicles, assisted driving, neue Mobilitätsangebote) spielt eine immer größere Rolle. Renault überlegt zum Beispiel, ihr Entwicklungszentrum in Guyancourt bei Paris für Firmen, die im Ökosystem der nachhaltigen Mobilität agieren, als Zusammenarbeitsplattform zu öffnen. In der neuen Gruppe Stellantis (PSA/FCA) wird sich meiner Meinung nach PSA Fiat annähern und die Führungsrolle für den europäischen und den BRIC-Markt übernehmen, während Chrysler sich auf den amerikanischen Markt konzentrieren wird. Die französischen Zulieferer werden ihre „Hightech for Best Value" Lösungen, mit denen sie ja auch auf dem deutschen OEM-Markt sehr erfolgreich sind, weiterhin international platzieren. Französische Niederlassungen internationaler Zulieferer werden die oben genannten Kompetenzen in ihren Konzernen nutzen und eine sehr aktive Rolle in der Zusammenarbeit mit den französischen OEMs und ihren anspruchsvollen Anforderungen spielen.
Wie schätzen Sie die Chancen bzw. Potenziale oö. Zulieferer auf dem französischen Markt ein? Womit könnten Sie bei den französischen Automobilherstellern punkten?
Die österreichische Automobilkompetenz im deutschsprachigen Industrieraum ist in Frankreich bekannt. Oberösterreichische Firmen können auf ihren ausgezeichneten Ruf der Verlässlichkeit und des Qualitätsanspruchs bauen und durch Flexibilität sowie Offenheit für die proaktive Mitarbeit bei der Definition von kostenoptimierten Hightech-Lösungen punkten. Wer als Zulieferer für Renault oder PSA oder französische Tier-1 arbeitet, ist zwar einem sehr hohen Kostendruck ausgesetzt, darf aber auch seine Expertise einbringen, um im Systemansatz und in der Produktdefinition Kosten zu sparen und gemeinsam am Lastenheft mit dem besten Mix zwischen Kosten und Nutzen mitarbeiten. Das ist eine Gelegenheit, die sich ambitionierte Firmen nicht entgehen lassen dürfen. Wem es gelingt, seine Lösung mit französischen Kunden wirtschaftlich tragfähig zu entwickeln, der hat ein Produkt, das er auch am Weltmarkt gewinnbringend positionieren kann. Oberösterreichische Firmen, die in Simulation und Rechenmodellen kompetent sind oder eben von der französischen Expertise als Kunden profitieren möchten, werden in Frankreich mit offenen Armen empfangen. Die internationale Verflechtung von Renault-Nissan und der neuen Gruppe Stellantis (PSA/FCA) bietet Zulieferern außerdem große Potenziale am Weltmarkt, um von Europa aus mit lokaler Präsenz in den Weltregionen zu wachsen.
Der Automobil-Cluster hat im Rahmen seiner Internationalisierungs-Bestrebungen das neue virtuelle Format „click&meet“ entwickelt. Wie schätzen Sie das Potenzial einer solchen Veranstaltung ein?
Solche Veranstaltungen werden in Zukunft immer üblicher werden, weil wir durch die momentane Notwendigkeit feststellen, dass dies ein guter Weg ist, mit weniger Zeit- und Reiseaufwand effizient zu kommunizieren. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Erstkontakte und der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung auch weiterhin durch persönlichen Kontakt leichter und schneller gelingen werden. Um solchen Veranstaltungen zu einem regen Austausch zu verhelfen, erscheint es mir daher sinnvoll, bestehende persönliche Kontakte im Vorfeld zur aktiven Vorbereitung zu nutzen.
Erster click&meet-Gastgeber war die Groupe Renault. Dabei ging es hauptsächlich um nachhaltige Themen. Orten Sie diesen Trend auch bei anderen französischen Fahrzeugherstellern?
PSA Peugeot ist dank seiner erfolgreichen Elektrifizierungspolitik heute schon deutlich unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Flottengrenzwert von 95 g CO2 pro Kilometer und arbeitet weiterhin mit Hochdruck daran, sich als Nachhaltigkeitspionier zu profilieren. Daher ist meine einfache Antwort: Ja natürlich, auf jeden Fall!
Consultant for International Cooperation
Dipl.-Ing. Günther Lachner ist Experte für internationale Zusammenarbeit, spezialisiert auf die Automobilindustrie in Österreich und Frankreich. Als Österreicher, der seit vielen Jahren in Frankreich lebt und in der französischen Automobilindustrie arbeitet, versteht er die Bedürfnisse der französischen Automobilhersteller und -zulieferer, ihre Prozesse, Erwartungen und Arbeitsmethoden und hat ein enges Netzwerk zu den Entscheidungsträgern. Als aktives Mitglied in der Interessensvereinigung TOTEM (Transports d'Occitanie Terrestres Et Maritimes) erweitert er seine Expertise und sein Netzwerk auf das gesamte Ökosystem der Mobilität.
Er interveniert als Unternehmensberater bei innovativen österreichischen Automobilzulieferern, die ihre Geschäftsbeziehungen mit französischen Partnern und Kunden aufbauen oder vertiefen wollen. Lachner nutzt seine Erfahrung als leitende Führungskraft in den Bereichen Geschäftsentwicklung und Vertrieb, der Elektrifizierung des Antriebsstranges, der Vernetzung der Fahrzeuge, des autonomen Fahrens, seine Kenntnis der Entwicklungs- und Vertriebsprozesse, sowie seine Ausbildung als Dipl.-Ing. für Maschinenbau an der TU Graz.
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