12.11.2019
Was haben das größte automotive Netzwerktreffen Österreichs und eine 16-jährige rebellische Schülerin aus Schweden gemeinsam? Einiges, wie sich am 6. November bei der automotive.2019 in Linz zeigte. Auch sonst dürfte – da waren sich die hochkarätigen Experten einig – in der Welt der Mobilität wohl kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Der Führerschein ist ein Auslaufmodell, autonomes Fahren ist in absehbarer Zeit ein vertrauter Teil des Alltags. Einkäufe werden via App erledigt. Und dann gibt es noch die VUCA-Welt.
Schon zu Beginn der Veranstaltung wurde klar: Wir haben es gegenwärtig mit einer ziemlich „verzopften“ Geschichte zu tun. Greta Thunberg hat mit ihrem Klimaschutz-Aktionismus die Sicht der Dinge auf den Kopf gestellt. Etwa, wenn es darum geht, was Kinder von Autos halten. Wo einst lackierte Karossen für glänzende Augen und den „Haben-Wollen-Effekt“ sorgten, regt sich heute Unmut über Fahrzeuge. Das zeigte sich bei der Begrüßungsrede von Automobil-Clustermanager Florian Danmayr. Dessen sieben Jahre alter Sohn zeigt offenbar wenig Begeisterung für Autos: „Sie sind schlecht für die Welt“: So hat es der Bub in der Schule gehört und gelernt. Greta ist an dieser Entwicklung bestimmt nicht unschuldig. „Man kann von ihr halten, was man will, aber die Automobilindustrie muss sich auch diesen aktuellen Trends stellen“, weiß Florian Danmayr. Wohin der Weg wirklich geht (alternative Treibstoffe etc.), ist bis dato unklar. Für Danmayr sind Voraussagen über die Zukunft des Automotive-Sektors aktuell ähnlich sicher wie ein Blick in die Glaskugel. Wir befinden uns laut Danmayr schließlich in einer VUCA-Welt. Die vier Buchstaben sind ein Akronym, das sich auf "volatility" ("Volatilität"), "uncertainty" ("Unsicherheit"), "complexity" ("Komplexität") und "ambiguity" ("Mehrdeutigkeit") bezieht. Die (Automotive)-Welt ist sehr komplex geworden, es kommt verstärkt zu Allianzen. „Wir sollten immer mit einem Auge auf China blicken, denn dessen Innovationskraft ist ungeheuer stark“, betont der Manager. Oberösterreich muss sich trotzdem nicht verstecken. Wichtig ist nur, die Trends richtig zu erkennen.
Der Vortrag des Innovationsexperten und Buchautors Dr. Mario Herger rüttelte ordentlich auf. Der Experte, der seit 2001 im Silicon Valley lebt, zeigte Fotomontagen von Kleinkindern im Auto, die vielleicht die letzten sind, die den Führerschein noch machen werden. Die nächste Generation wird das rosa Papier oder die Plastikkarte nur mehr von Erzählungen kennen. Seiner Meinung nach führt an autonomem Fahren kein Weg vorbei, nicht nur weil es das Silicon Valley bereits vorexerziert. Aus Sicht des Experten haben Apple, Google und Uber die Welt der Mobilität grundlegend verändert. „So wie sich die Pferdekutsche zum Auto oder die Luftfahrt binnen weniger Jahrzehnte vom Versuch zum Massentransportmittel entwickelt hat, wird es auch beim autonomen Fahren passieren.“ Die nächsten Monate und Jahre werde es noch Kritiker geben, die es nicht wahrhaben wollen, und dann von den Tatsachen überrollt werden. „The next big thing“ - das ist aus Sicht in den Vereinigten Staaten die Zukunft, macht mit oder schaut in unsere Rücklichter. Innovationsforscher Dr. Mario Herger zeigte auf, dass Tesla, Google, Apple und Co. die Automotive-Branche stark verändern werden. Das Auto war in den letzten 100 Jahren wichtig, es wurde präzise gebaut, auf alle Komponenten geachtet. Jetzt geht es hin zu technisch-digitalen Lösungen. Sein Tesla als Beispiel: Er bekommt alle paar Wochen ein Update, also ganz digital, und schon funktionieren die Bremsen besser, oder der „Wächtermodus“ rund ums Auto als Alarmanlage. Herger sieht auch das Robotertaxi in Florida als Beispiel, dass vermeintlich technologiefeindliche Menschen (in dem Fall Pensionisten) neue Lösungen gut annehmen. Autonomes Fahren ist in Oberösterreich ein wichtiges Thema.
Eva Tatschl-Unterberger, GF DigiTrans GmbH, ist stark damit beschäftigt, Wissen aufzubauen, was Fahrzeuge der Zukunft können müssen und wie man das testen kann: „Für uns ist wichtig, dass wir das Umfeld schaffen, damit getestet werden kann.“ Ferngesteuertes/remote Fahren – teils autonom, teils vom Fahrer gesteuert. Stephan Ackermann (Leitung Produktmanagement & Marketing bei Reform-Werke Bauer & Co Ges.m.b.H) berichtete von seinem Projekt „Autility“, einem kooperativen Forschungsprojekt, das sich mit der Automatisierung von Arbeits- und Transportaufgaben in zwei unterschiedlichen Anwendungsgebieten – Flächenbearbeitung und Luftfrachttransport – beschäftigt. Frantz Saintellemy von LeddarTech aus Kanada stellt klar, dass es für ihn absolut Sinn macht, mit Austria und besonders Upper Austria zu kooperieren, weil hier so viel kreatives Potenzial vorhanden ist. Gleichzeitig weist er darauf hin, dass Kanada auch sehr innovativ ist. „Viele blicken nach Kalifornien, dabei geschieht doch so viel in Kanada – wie in Montreal.“ Kanada und Österreich haben wohl mehr gemeinsam als Frank Stronach. Sein Periodensystem of Tech in Canada zeigt anschaulich, was vorangetrieben wird. In Bereichen wie New Mobility sind die Nordamerikaner sehr stark, der Fokus liegt auf E-Mobility, Connected Intelligent Vehicles und mehr. Saintellemy betont, dass die Zeit gerade sehr „challenging“ ist. „It’s really, really hard. Gosh.“ Der Markt ist aber fit für autonomes Fahren. Und: „Wir brauchen Software, die die physischen Grenzen überwindet.“
Jürgen Antonitsch von Robomart, Inc. stellt seine „selbstfahrenden Jausnwagerl“ vor, wie es auf gut österreichisch heißen würde. In den USA ist dieses System schon seit einiger Zeit bekannt, Antonitsch will diesen Gedanken in Europa etablieren. Ein paar Zahlen: Der Onlinehandel im Lebensmittelbereich setzt aktuell weniger als 5 Prozent um, eine Umfrage aus 2016 und 2017 hat gezeigt: 84 % der Befragten wollen die Ware physisch sehen und danach auswählen können. Bei fast zwei Drittel der Einkäufe werden außerdem weniger als 10 Produkte gekauft. Das ist auch ein Thema, warum sich laut Antonitsch der Robomart etablieren wird. Wie funktioniert es? Man installiert die App, registriert sich, bekommt eine Info, bis wann der Robomart da ist. Nach Eintreffen verbindet man sich mit dem elektronischen Helfer, wählt die Waren aus und bezahlt nach deren Erhalt per App. Der Platz für das Sortiment ist überschaubar, lässt sich aber nicht nur auf Lebensmittel anwenden, sondern für Medikamente etc. Der Plan sieht so aus, dass bis 2020 die Kommerzialisierung passiert.
Georg Fürlinger ist Technologiebeauftragter im AußenwirtschaftsCenter San Francisco und treibt die Bildung neuer Netzwerke voran. Die Amerikaner sollen wissen, was sich in Österreich tut, gleichzeitig stellt sich uns die Frage: Was passiert im Silicon Valley? Fürlingers Center ist Anlaufstelle für Start-ups, Forschungseinrichtungen, Universitäten, politische Einrichtungen und KMUs. In Zusammenarbeit mit der TU Wien entstand der Branchenreport „Zukunft der Mobilität“. Warum eigentlich SiliconValley? „Die USA sind führend für neuartige Transport und Mobilitätslösungen“, sagt Fürlinger. Das beweisen auch die Zahlen. 500 Unternehmen aus diesem Segment haben ihren Sitz in den USA, mehr als die Hälfte der neuen Mobilitäts-Startups in den USA befinden sich im Silicon Valley: Und der Rest? 60 Unternehmen in China und eine Handvoll in Israel. 55,7 Milliarden wurden seit 2010 in den USA in Mobilitätstechnologien investiert. Tenor über Silicon Valley: Man hat große Erwartungen, wenn man hinfährt: So viele Themen, so viele Netzwerke, die eng mit Unis zusammenarbeiten. Leute sind offen, es ist eine andere Kultur – California ist so sonnig schön, das gibt Inspiration. Oliver Brandl, Director C-IST von Kapsch TrafficCom betont, dass in den letzten Jahren stark differenziert wurde. Start-ups, die zu ihnen kommen, haben meist ein, zwei große Themen. Es geht dabei nicht um Geld, sondern Skalierung und Marktzugang. Hier kann Kapsch helfen und gemeinsamen Benefit erzeugen. Start-ups haben – und das ist für Big Player interessant - die Expertise in Bereichen wie Deep Learning. Meist gibt es Technologien, aber noch keine Lösungen, Kapsch hilft dabei.
Zu Beginn gab es eine Blitzumfrage, wer wie angereist ist. Überraschend viele im Publikum (ca. 1/3) setzen auf E-Mobilität. Gesprochen wurde dann darüber, dass der Sound eines Autos auch Emotionen transportiert. In manchen Fällen ist Stille erwünscht, da passt der Sound von E-Modellen natürlich optimal, bei Rennstrecken und im Funsport eher weniger. Was in Zukunft ein Thema sein wird: der Schutz von Passanten in Städten. Deshalb ist Sensorik extrem wichtig, damit das Auto Warnsignale von sich gibt. Auf die Frage an Ford-Application Supervisor Thomas Zenner, wie er den Prozess der Elektrifizierung in seinem Unternehmen beobachtet hat, antwortet er: „Ich bin seit 23 Jahren bei Ford – Ich habe den Prozess komplett miterlebt. Zuerst war E-Mobilität eine Randgruppe, die nicht wahrgenommen wurde. Ab 2015 war das Thema plötzlich sehr populär. Die Firma gibt derzeit ordentlich Gas, damit die Ziele erreicht werden und keine Strafzahlungen aus Brüssel drohen“. Für Karl Radlmayr, Vice President Technology & Innovation, Metal Forming Division, voestalpine AG, ist die Zukunft für Stahl trotz aller Leichtbau-Bestrebungen gesichert, denn er sieht die Lage entspannt. „Wir ziehen das Metall vor. Wir haben 2010 die Analyse zu Chancen und Risiken der E-Mobilität abgeschlossen und machen jetzt den Roll-out.“
Welche Herausforderungen und Chancen sich für die leichte Elektromobilität ergeben, machte Florian Huber, Leiter für Forschung & Entwicklung der KTM Technologies GmbH, klar. KTM hat sich gut auf die neuen Trends eingestellt und hält neue Produkte wie das „Audi E-Bike Wörthersee“ und einen E-Scooter für den asiatischen Markt bereit. Thomas Zenner, Application Supervisor – Electrified Powertrain Enginiering FoE der Ford-Werke GmbH, stellt die elektrifizierte Produktpalette von Ford vor, die umfangreicher nicht sein könnte. Ford steht seit jeher für Automobile im mittleren Preissegment. Deshalb ist die Grundidee bei den neuen E-Modellen ganz ähnlich: „Wir wollen einen erschwinglichen Zugang zur Elektromobilität in allen Fahrzeugklassen schaffen.“ Die Abstufungen reichen von wenig Elektrifizierung („Mild Hybrid“) bis zum reinen E-Antrieb (All Electric Vehicle). In kleineren Fahrzeugsegmenten wie Fiesta, Focus, Puma und Kuga spielt Leistbarkeit eine größere Rolle, weswegen Ford auf Mild Hybrid setzt. Bis Anfang 2020 werden alle Mild Hybrid-Modelle, auf dem Markt sein. Bei Plug-in Hybrid dürfen sich Kunden auf Explorer, Transit Custom und Tourneo Custom freuen. Außerdem ist schon bald ein von Mustang inspirierter CUV (Crossover-SUV) in zwei Variationen, einmal mit 600 km und einmal mit 450 km Reichweite, am Markt erhältlich.