21.12.2020
Der Baumaschinenhersteller Wacker Neuson ist Vorreiter in Sachen emissionsfreier Baumaschinen und Baugeräte. CEO Martin Lehner spricht im Interview über lärmreduzierte CO2-, und schadstofffreie Baustellen und was die Digitalisierung seiner Branche sonst noch bringt.
Wacker Neuson ist Vorreiter bei elektrisch betriebenen Baugeräten und kompakten Baumaschen. Wie kam es dazu?
Zero emission ist bei uns ein sehr wichtiges Thema. Wir beschäftigen uns damit bereits seit einigen Jahren. Der Hintergrund ist u.a. die EU-Luftreinhaltverordnung. Viele Großstädte haben große Probleme, diese einzuhalten. Unser erstes Produkt haben wir 2014 auf den Markt gebracht. Das war ein akkubetriebener Stampfer, also ein Verdichtungsgerät. Dieses Produkt war prädestiniert dafür, weil der Anwender damit oft in einem Graben steht und das Erdreich verdichtet, nachdem z. B. eine Leitung verlegt wurde. Bisher wurden diese Stampfer mit Benzinmotoren betrieben. Diese wurden zwar auch ständig weiterentwickelt, um die Emissionen zu reduzieren, damit der Anwender weniger Abgase einatmet. Aber wir sind auf Grenzen gestoßen und nicht mehr wesentlich vorangekommen. Denn es bleiben einfach gewisse Emissionen vorhanden. Und so hat sich die Frage nach alternativen Antrieben gestellt und wir haben schließlich auf den elektrisch betriebenen Stampfer gesetzt. Grundsätzlich ist das eine Weiterentwicklung der Technologie, die wir bereits aus dem Bereich Power Tools kennen. Vor 20 Jahren hat jeder eine Bohrmaschine oder eine Heckenschere mit einem Kabel gehabt, heute werden diese Produkte eben mit einem Akku angetrieben. Wir haben dann im nächsten Schritt auch für die Leistungsklasse der kompakten Baumaschinen eine Batterielösung entwickelt
Welche Strategie oder Philosophie haben Sie dabei verfolgt?
Für uns war von Anfang an klar, dass wir keine Sonderlösung für ein paar wenige Anwendungsfälle entwickeln wollen, sondern wir waren vom Elektroanrieb überzeugt und das Ziel war, in die Großserie zu kommen. Um das zu erreichen, haben wir uns für jede Entwicklung drei Ziele gesetzt: Das elektrisch betriebene Produkt muss dieselbe Leistung haben wie das konventionell angetriebene Produkt, damit es vom Kunden angenommen wird. Das zweite Ziel ist ebenso wichtig: Auf den Baustellen haben wir nicht überall sofort einen Stromanschluss. Wir brauchen daher die Energie an Bord für einen durchschnittlichen Arbeitstag. Das dritte Ziel: Damit wir einen Durchbruch am Markt schaffen, muss es sich für den Kunden wirtschaftlich rechnen. Wir sind heute so weit, dass wir einen Return on Investment von etwa drei bis vier Jahren erreichen. Die Anschaffungskosten für das Produkt sind höher, aber im laufenden Betrieb haben wir deutlich niedrigere Energiekosten, weil Strom günstiger ist als Diesel. Wir sind wesentlich effizienter vom Wirkungsgrad her. Und wir haben so gut wie keine Wartungskosten. Der elektrische Antrieb ist eigentlich wartungsfrei.
Welche Modelle haben Sie heute im Portfolio?
Heute haben wir 15 verschiedene Produkte. Dieses Produktportfolio wird kontinuierlich weiter ausgebaut. Wir sind heute bereits in der Lage, kleine bis mittlere innerstädtische Baustellen – da gibt es in jeder Großstadt Hunderte oder Tausende Kleinbaustellen, die wir Mannlöcher nennen – vollständig auszustatten. Wenn ein Glasfaserkabel oder ein Telefonanschluss verlegt oder eine Wasserleitung repariert wird, braucht man verschiedenste Geräte. Das beginnt beim Bagger, man braucht ein Transportfahrzeug, einen Dumper oder Radlader. Nach der Arbeit muss man das Erdreich wieder mit einem Stampfer verdichten. Der Asphalt muss mit einer Verdichtungsplatte verdichtet werden. Wir sind der erste Hersteller weltweit, der ein komplettes Produktportfolio an Baugeräten und kompakten Baumaschinen anbietet, um so eine kleine innerstädtische Baustelle völlig emissionsfrei zu betreiben.
Welche Vorteile bringen ihre zero emission-Produkte?
Neben der Tatsache, dass wir keine Abgase haben, haben wir beim Thema Lärm einen großen Vorteil. Die elektrisch betriebenen Geräte sind etwa halb so laut wie konventionelle Geräte. Den Prozesslärm, also die Arbeitsgeräusche, können wir natürlich nicht verhindern. Aber das Produkt selbst ist wesentlich leiser. Wir haben schon Tausende Baugeräte auf zahlreichen Baustellen im Einsatz und auch mehr als 1.000 kompakte Baumaschinen im Einsatz. Unsere Kunden sagen: Die Arbeiter können sich auf der Baustelle viel besser miteinander unterhalten und in lärmsensiblen Umgebungen wie z.B. in Wohngebieten oder im Innenraum arbeiten, weil das Geräusch des Motors fast nicht mehr hörbar ist. Wir sparen auch wesentlich CO2 ein. Daher glauben wir, dass diese Entwicklung rasant weitergehen wird. Wir können mit unseren Produkten bis zu 90 % CO2 einsparen. Dabei ist auch die Herstellung der Batterie bereits berücksichtigt sowie der aktuell verfügbare Strommix in Österreich. Auch der laufende Betrieb ist bereits mit eingerechnet. Wir sind auch gerade dabei, uns diese CO2-Einsparung zertifizieren zu lassen. Der Kunde wird von uns also in Zukunft ein Prüfzertifikat von einer externen Prüfstelle bekommen. Der CO2-Footprint wird auch für unsere Kunden immer wichtiger.
Wie werden die neuen Produkte von den Kunden angenommen?
Sehr gut. Das Thema wird sich auch weiter beschleunigen. Ich war selbst vor einigen Tagen in Wien auf einer großen Baustelle bei einem unserer Kunden, der einige Wochen das komplette Portfolio im Einsatz hatte, auch einen Innenrüttler mit Akkurucksack. Ich habe selbst mit dem Polier gesprochen. Er hat gesagt, dass er am Anfang sehr skeptisch war und jetzt absolut begeistert ist. Weil die Geräte unkompliziert zu laden sind. Man kann sie in der Mittagspause kurz anstecken und zwischenladen, über Nacht ist jedes Gerät wieder voll aufgeladen. Und im Betrieb stehen die Geräte denen mit konventionellem Antrieb in nichts nach. Die fehlenden Abgase und der deutlich reduzierte Lärm wurden auch sehr positiv honoriert.
Welche Rolle spielt der Gesundheitsaspekt?
In Deutschland erhält der Anwender, wenn er einen elektrischen Stampfer kauft von der Berufsgenossenschaft eine Förderung, weil das die Gesundheit des Anwenders natürlich auch schützt. Denn der Lärm ist auf jeder Baustelle sehr groß und die Kunden rufen nach lärmarmen Produkten. Es ist kaum mehr möglich, die geltenden Lärmvorschriften auf einer innerstädtischen Baustelle mit konventionell betriebenen Baugeräten einzuhalten. Für die Arbeiter genauso wie für das Umfeld. Wenn daneben ein Wohngebiet, ein Krankenhaus oder ein Pflegeheim ist, gelten die unterschiedlichsten Vorschriften zum Lärm.
Wo kamen ihre zero emission-Produkte bereits zum Einsatz?
In den vergangenen eineinhalb Jahren hatten wir viele Pilotbaustellen. Beispielsweise mussten in einer Fußgängerzone in Kopenhagen Kabel verlegt werden. Die Arbeiten mussten in der Nacht durchgeführt werden, um das Geschäftsleben nicht zu beeinträchtigen. Lärm hat dort eine riesen Rolle gespielt. Dort haben wir extrem positive Rückmeldungen bekommen. Nächstes Jahr findet in Deutschland die Bundesgartenschau statt. Da wurden unsere Geräte in einem Tropenhaus eingesetzt, wo exotische Pflanzen versetzt wurden. Dort war das Thema Abgase essenziell und auch da haben wir unsere elektrischen Geräte mit sehr positivem Ergebnis im Einsatz gehabt. Wir haben unsere emissionsfreien Geräte auch beim Umbau des Olympiaschwimmbads München im laufenden Betrieb eingesetzt, wo das Thema Abgase ebenso eine große Rolle gespielt hat.
Wie hat die Wacker Neuson Gruppe das Krisenjahr 2020 gemeistert?
Vor allem im 2. Quartal waren weltweit fast alle Baustellen teilweise für ein paar Wochen gestoppt, weil niemand gewusst hat, wie man die Sicherheit der Mitarbeiter auf der Baustelle gewährleisten kann. Das hat natürlich auch bei uns zu Umsatzrückgängen geführt. Unsere Mietpark-Kunden – diese kaufen Maschinen in großen Stückzahlen und vermieten sie an Baufirmen weiter – haben ihre Investitionen in diesem Jahr großteils gestrichen und die Erneuerung des Mietparks um ein Jahr aufgeschoben. Das hat uns natürlich getroffen. Aber bei unseren Bestellungen für elektrisch betriebene zero emission-Produkte gab es keinen Rückgang - hier wachsen wir weiter. Viele Kunden gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren Regularien kommen werden, dass die EU die CO2-Einsparziele noch einmal deutlich verschärft. Von - minus 40 % bis 2030 auf minus 55/60 %. Es wird auch über Dieselverbote in Städten gesprochen, Verbrennerfahrzeuge aus den Innenstädten zu verbannen. Wir gehen davon aus, dass diese Diskussion auch vor Baumaschinen nicht Halt machen wird. Darum wollen sich die Kunden darauf vorbereiten und erste Erfahrungen mit diesen Produkten sammeln.
Wie wird sich das Thema zero emission in der Branche weiterentwickeln?
Auf der Bauma 2019 in München haben wir von vielen anderen Herstellern erste Prototypen und Studien für zero emission und batteriebetriebene Produkte gesehen. Wir waren von dieser Entwicklung angetan, weil es uns natürlich hilft. Das war ein starkes Zeichen auch für unsere Kunden, die Kommunen und die Städte, dass diese elektrischen Produkte wirklich die Zukunft sind und dass es nicht nur einen „verrückten“ Hersteller Wacker Neuson gibt, der das macht. Das schafft natürlich auch Vertrauen in diese neue Technologie, auch bei unseren Kunden.
Wir gehen davon aus, dass sich durch die Diskussion in Europa über die weitere Verschärfung der CO2-Einsparungsziele dieses Thema weiter beschleunigen wird. Auch dadurch, dass in die Batterieentwicklung momentan weltweit das meiste Geld fließt. Hier sehen wir auch noch große Entwicklungsschritte. Die nächste Batteriegeneration werden wir vermutlich in zwei, drei Jahren im Serieneinsatz haben. Vermutlich werden diese Batterien dann um die Hälfte günstiger sein. Die Energiedichte wird sich um bis zu 50 % erhöhen. Es wird kein Kobalt mehr in der Batterie sein. Also wenn man diese Themen zusammenführt – Verschärfung der Regulierungen, verbesserte Technologie zu besseren Preisen – dann beschleunigt das das Thema elektrisch betriebene Baumaschinen und -geräte auch in den nächsten Jahren.
Erst vor wenigen Wochen haben die ersten vier Großstädte ein Commitment unterzeichnet, ab 2025 nur mehr elektrisch betriebene Baugeräte einzusetzen und einzukaufen, sofern sie verfügbar sind: Los Angeles, Mexico City, Oslo und Budapest. Ich gehe davon aus, dass sich in den nächsten Monaten und Jahren weitere Großstädte dieser Charta anschließen werden.
An welchen Innovationen arbeiten Sie gerade?
Neben dem Thema zero emission beschäftigt uns die Digitalisierung, um die Produktivität unserer Kunden zu verbessern. Beispielsweise sind heute unsere Kompaktmaschinen mit uns bzw. unseren Kunden vernetzt. Der Kunde kann mit uns einen Full-Service-Wartungsvertrag abschließen und braucht sich um nichts mehr zu kümmern. Die Maschine meldet sich automatisch bei uns an und informiert uns: „Nächste Woche erreiche ich 1.000 Betriebsstunden, ich brauche einen Service.“ Wir kümmern uns dann darum. Wir bekommen viele Betriebszustände und Daten übermittelt und können im Vorfeld sehen, ob es z.B. zu einer Überhitzung kommt, weil die Kühler nicht gereinigt sind. Da gehen wir in Richtung Predictive Maintenance.
Was die Kunden von uns wünschen, sind u. a. Assistenzsysteme und autonome Produkte. Der elektrische Antrieb in Verbindung mit der Digitalisierung bietet uns hier viele Möglichkeiten. Wenn der Kunde beispielsweise in der Innenstadt Kabel verlegen muss, dann liegen dort Wasserleitungen in einer Tiefe von 1,5 m in der Erde. Dann kann man das Gerät so einstellen, dass der Anwender nur 1,20 m tief graben kann und die Leitungen nicht mehr beschädigt. Oder er steht auf der Straße, ein Fahrstreifen ist gesperrt und er führt dort seine Arbeiten durch. Da kann man einen Geofence im Gerät fixieren, d.h., er kann mit seinem Bagger nicht auf den für den Verkehr offenen Fahrstreifen hinausschwenken. Das sind Sicherheitsfunktionen der Assistenzsysteme, die dem Fahrer das Arbeiten wesentlich erleichtern.
Wir arbeiten auch an autonomen Verdichtungsplatten. Diese Platte wird heute vom Anwender entweder handgeführt oder mit Funkfernsteuerung betrieben. Im nächsten Entwicklungsschritt installieren wir auf der Baustelle eine Kamera. Das Kamerabild hat der Anwender auf dem Tablet oder Smartphone. Dort kann er ganz einfach mit dem Finger die Fläche markieren, die er verdichten möchte. Dann stellt er die Verdichtungsplatte in diese Fläche hinein, drückt auf den Knopf und die Platte verdichtet diese Fläche autonom. Sie zeichnet auch auf, wo und wie stark sie verdichtet hat. Der Anwender hat so auch ein Protokoll und einen Qualitätsnachweis für seine ausgeführten Arbeiten.
Und wir denken auch über neue Geschäftsmodelle wie Pay-per-Use nach.
Sind diese Digitalisierungsthemen noch Zukunftsmusik oder schon sehr realitätsnah?
EquipCare, wo wir uns um das Produkt und seine laufende sowie vorausschauende Wartung selbst kümmern, ist bei uns bereits Realität und kann von unseren Kunden genutzt werden. Das Thema Assistenzsysteme zieht Schritt für Schritt in den nächsten zwei Jahren in unsere Produkte ein. Die autonome Rüttelplatte funktioniert bereits im Versuch und war schon auf Pilotbaustellen im Einsatz. In den nächsten ein bis zwei Jahren werden wir damit in Serie gehen.
Martin Lehner, CEO Wacker Neuson Group
Martin Lehner ist seit 2017 als Vorstandsvorsitzender der Wacker Neuson Group verantwortlich für die Bereiche Forschung & Entwicklung, Produktion, Qualität, Einkauf, Strategie/M&A, Personal, Recht, Compliance, Investor Relations, Unternehmenskommunikation und Nachhaltigkeit. Seine berufliche Laufbahn startete er 1985 nach einer Maschinenbauausbildung bei Hainzl Industriesysteme in Linz, bevor er 1987 zur Neuson Hydraulik GmbH wechselte, die 2007 mit der Wacker Construction Equipment AG zur Wacker Neuson SE fusionierte. Martin Lehner hatte zunächst verschiedene geschäftsführende Funktionen inne, bevor er 2004 in den Vorstand zunächst der Neuson Kramer Baumaschinen AG und ab der Fusion 2007 zum Vorstand der Wacker Neuson SE berufen wurde.
Martin Lehner ist seit 2011 Mitglied der „High-Level Technical Policy Advisory Group” des europäischen Baumaschinenverbands CECE in Brüssel und seit 2018 Vorstandsmitglied im VDMA Fachverband Baumaschinen und Bauanlagen sowie in der Arbeitsgemeinschaft „Machines in Construction 4.0“. Mit seinem langjährigen technischen Background befasst sich Martin Lehner unter anderem mit den Themen Industrie 4.0 oder Digitalisierung in der Bauindustrie und pflegt intensive Kontakte in die deutsche und österreichische Start-up-Szene. So ist Lehner seit 2018 Vorsitzender des Investorenbeirats des Speedinvest Industry Venture Capital Fonds und Mitglied des Dieselkuratoriums.
Nach knapp 34 Jahren bei der Wacker Neuson Group hat er sich nun dazu entschlossen, seinen Vertrag als CEO und CTO kein weiteres Mal zu verlängern. Ab Januar wird Herr Kurt Helletzgruber (CFO), langjähriges Mitglied des Aufsichtsrates und seit über 20 Jahren Weggefährte der Wacker Neuson Group, die CEO-Funktion interimistisch übernehmen. Lehners Kollege Felix Bietenbeck (COO) wird ab Januar auch die CTO-Funktion der Unternehmensgruppe übernehmen.
Über die Wacker Neuson Group
Die Wacker Neuson Group ist ein international tätiger Unternehmensverbund mit rund 5.500 Mitarbeitern. Im Geschäftsjahr 2019 lag der Umsatz bei 1,9 Mrd. Euro. Als ein führender Hersteller von Baugeräten und Kompaktmaschinen bietet die Gruppe ihren Kunden weltweit ein breites Produktprogramm, umfangreiche Service- und Dienstleistungsangebote sowie eine leistungsfähige Ersatzteilversorgung. Das Angebot richtet sich vor allem an Kunden aus dem Bauhauptgewerbe, dem Garten- und Landschaftsbau, der Landwirtschaft, den Kommunen und der Recyclingbranche sowie an Bahnbetriebe und Industrieunternehmen. Zur Unternehmensgruppe gehören die Produktmarken Wacker Neuson, Kramer und Weidemann. Die Aktie der Wacker Neuson SE wird im regulierten Markt (Prime Standard) der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt und ist im SDAX der Deutschen Börse gelistet.
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